Eine geschichte, so unglaublich, dass wir sie selbst kaum fassen könnten, wären wir nicht dabei gewesen

Dieses Album entstand aus einer unerwarteten Freundschaft und ein Traum wurde wahr für zwei junge tschechische Musiker, Komponisten, Produzenten und, vielleicht noch vor allem anderen, Fans der afrikanischen Musik — Martin Piro und Pavel Šmíd

Alles begann mit einer Reise per Anhalter den Fluss Niger entlang in Richtung Timbuktu zum Festival au Desert und dem Festival sur le Niger in Mali, während der sie unter Anderem in den Häusern der berühmten Musiker Ali Farka Touré und Salifa Keita übernachteten und darüber hinaus noch viele weitere Musiker aus diesem Teil der Welt trafen. Doch hätte man Pavel und Martin vorher gesagt, dass sie Jahre später im Jahr 2018 mit diesen fantastischen Musikern beim Czeck Music Crossroads Festival spielen würden, hätten sie gelacht. Aber genau darum geht es im Leben, nicht wahr? Insbesondere für einen Musiker, der sein ganzes Leben auf den Moment wartet, wenn ein kleiner Funke ein Feuer entfacht, das brennt und brennt und nie gelöscht werden kann.

Die Geschichte geht weiter. Eines Tages genoss Zlata Holušová, der Direktor des Colors of Ostrava Festivals ein Mittagessen mit dem senegalesischen Sänger Cheikh Lô in dessen Zuhause in einem Vorort von Dakar. Am Ende der Mahlzeit stimmte Cheikh zu, mit seiner Band nach Ostrau zu fahren. Was Zlata zu diesem Zeitpunkt nicht wissen konnte war, dass Martin und Pavel ebenfalls dort sein und eine Reggea-Version des westafrikanischen Liebesliedes Jarabi spielen würden. Sie trafen Cheikh auf dem Festival in einem Wohnwagen, der als mobiles Aufnahmestudio fungierte und Milan Cimfe von Sono Records gehörte, einem Studio dass für seine Mastering-Arbeit an Alben von David Bowie, A. R. Rahman, der Tuareg Band, Tamikrest und Glitterbeat Records bekannt ist. Eins führte zum Anderen und bevor sie sich versahen, jammten sie gemeinsam. Dann passierte es: In atemberaubender Manier begann Cheikh Lô Jah’rabizu singen. Er grinste er, ging zum Mikrofon und nahm, während alle anderen noch stoned waren, seine eigene unglaubliche Version des Stücks auf, die mit einem Lächeln und einem einfachen “C’est fini.” endete.

Am nächsten Tag sprach Cheikh diesen Moment dem Publikum und bestätige, dass diese Erfahrung selbst für ihn etwas ganz besonderes gewesen war. Diese Geschichte dient als Beispiel für die außergewöhnliche Kraft der Musik, Menschen aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Nationalitäten und Kulturen zu verbinden, insbesondere in schwierigen Zeiten, wie wir sie aktuell häufiger erleben.

Auf dem Höhepunkt des Colors of Ostrava Festivals fährt Cheikh fort: “Bei Musik geht es um die Verbindung von Menschen und den Austausch von Ideen. Musiker werden sich immer zueinander hingezogen fühlen. Man kann sich nicht in eine Ecke sperren und alle anderen ignorieren, denn wir alle teilen das selbe Herz. Wir sind eins.”

Wenn bis zu diesem Punkt die kleinste Chance bestand, dass das Feuer in Martin und Pavel erlöschen könnte, so wurde dieser durch die Geschichte von Jah’rabi im Wohnwagen ein Ende gesetzt. Einige Tage später, beim Folk Prazdniny Festival in Náměšť nad Oslavou, kurz nach dem Auftritt des Trio Da Kali aus Mali sprachen Martin und Pavel mit deren Sänger Hawa ‘Kassé Mady’ Diabate und ihrem Bassisten Mamadou Kouyaté. Sie luden sie in ihr Studio Rustical Records ein, und in derselben Nacht gewann Jah’rabi dank Hawa ‘Kassé Mady’ Diabaté eine weitere phänomenale Stimme dazu. Mit dem senegalesischen Sabar-Spieler Leopold Lô sowie Moustafa Kouyaté am Ngoni war das Puzzle schließlich komplett.

Die Idee für ein komplettes, eigenständiges Album kam im Oktober mit dem ersten Besuch von Womex in Las Palmas auf den kanarischen Inseln. Angereist mit dem Ziel, Feedback bezüglich der Single Jah’rabi einzuholen, kehrten sie voller Ideen und Pläne zurück, die sie auf der Stelle in die Tat umsetzten: Martin ging zurück ins Studio, während Pavel in den Senegal zu seinen neuen Freunden — Cheikh Lô und seiner Band reiste. Durch die drei Wochen, die sie gemeinsam auf Tour verbrachten, wurden ihre Herzen wieder geöffnet. Pavels Song King Lô, der durch den deutschen Gitarristen Urs Wagner bereichert wurde, unterstreicht das.

In Dakar traf Pavel Sängerin Zeina Ndong, die in ihrem Song Thiamness von Familie, Einigkeit und Zwist singt: “Schiebe nichts auf, was du heute erledigen kannst. Das Leben ist nicht so einfach, wie wir denken. Was hält dich davon ab, für deine Familie zu sorgen? Sei stark und unterstütze die, die dich brauchen.”

Martin stolperte durch Zufall auf Facebook über die malische Sängerin Bibby Ssamake und schickte ihr den Instrumentaltitel KarKar, einem Tribut an den berühmten Bouabacar Traore, den sie beim Folk Prazdniny getroffen hatten. Doch erneut stellte sich die Frage, war es Zufall oder Schicksal? Möglicherweise gibt es keine Zufälle, selbst wenn Menschen so weit auseinander leben wie in diesem Fall. Bibby schickte den Song mit ihrem pazifistischen Text zurück und unterstützte damit die humanistische Intention des Albums weiter. “Warum ich den Krieg fürchte, gebrochene Arme und Beine, die Auslöschung von Dörfern und die Zerstörung ganzer Länder? Krieg ist furchtbar. Seid tolerant, Krieg ist der falsche Weg.” Der neue Name, RAW, bedarf keiner weiteren Erklärungen

Das Glück ist mit den Mutigen, und als Pavel und Martin sich entschieden, den Djembe-Spieler Thomas Guei von der Elfenbeinküste zum Recorden nach Prag sowie den Balafon-Meister Abdoulaye Dembelé aus Burkina Faso in ihr Studio Rustical Records einzuladen, was hatten sie zu verlieren? Mit ihrer Zusage entwickelte das King’N’Doom-Album eine noch stärkere Kraft.

“Mit afrikanischen Musikern zu spielen, ist unbestreitbar unglaublich. Sie tragen etwas in sich. Man zeigt ihnen den Song einmal, höchstens zweimal und sie sind sofort bei der Sache, greifen begeistert ihr Instrument und spielen mit. Ein Durchgang ist in der Regel alles was sie brauchen und das war’s” sagen Martin und Pavel. Pavel fährt fort: “Mit Musikern wie Cheikh Lô, Hawa ‘Kassé Mady’ Diabaté, Leopold Lô und Thomas Guei zu arbeiten war eine lebensverändernde Erfahrung und eine großartige Lehrstunde für mich. Die Bescheidenheit, die ich erleben durfte, die Erfahrungen, auf die ich zurückgreifen kann, und die vielen Freundschaften die während den Aufnahmen entstanden sind, sind ein unauslöschbarer Teil von mir und ich stelle fest, dass Musik eine kraftvolle, alles überwindende Entität ist, eine universelle Sprache, die Grenzen überwindet. Diese Schubladen wie “World Music” oder “afrikanische Musik” existieren für mich nicht mehr. Musik ist eine einzige große Sache und sie ist für jeden, der gewillt ist, ihr zuzuhören.”

Fertiggestellt wurde das Album in den Studios von Rustical Records und Sono Records mit der Unterstützung einiger lokaler Talente. Es scheint überraschend, aber ein Projekt wie dieses war selten für die tschechische Republik, einem kleinen Land in der Mitte Europas, insbesondere unter Mitwirkung so vieler großer Namen aus der Welt der afrikanischen Musik. Faktisch gab es so etwas noch nie zuvor. Wie Pavel sagt, würden sie es nicht glauben, wären sie nicht selbst dabei gewesen.

“An diesem Album zu arbeiten hat mir mehr mitgegeben als ich mir je hätte vorstellen können” sagt Pavel. “Was ich an Erfahrungen gewinnen konnte, darf man nicht unterschätzen. Das Gefühl, dass nichts unmöglich ist, solange man bereit ist, dafür zu ackern. Hätte man mir vor Jahren gesagt, dass ich das Glück haben würde, all diese Erfahrungen durch die Aufnahmen um King’N’Doom zu sammeln, hätte ich es nicht geglaubt. Es war immer mein Traum, die Welt zu bereisen und Musik zu machen. Und plötzlich befinde ich mich in der Mitte von Dakar, mit einem kleinen Rucksack und leeren Taschen, aber mit einem Song in meinen Knochen. Es ist nach wie vor schwer zu glauben, dass ein Song, den ich zuhause an meinem Laptop geschrieben habe, von Cheikh Lô gesungen wurde und wahrscheinlich gerade in einem heruntergekommenen Taxi irgendwo im Senegal läuft. Es ist kaum zu fassen, wirklich...”



Jiří Moravčík

Tschechischer Weltmusik-Journalist